Das Ich im 20. Jahrhundert am Beispiel von Edward Hoppers Werk
In vielen Bildern Hoppers sind Straßen, Eisenbahnschienen, Eisenbahnabteile, Brücken, Tankstellen, Reisekoffer und Autos zu sehen. Die Zeichen der Bewegung und Veränderung. Reisen heißt in diesem großen Land, daß man Freunde, Verwandte und Heimat, das was der Mensch der Alten Welt als sein Zentrum empfindet, zurück lassen muß. In diesem Land muß man sein Zentrum mit sich, in sich tragen. Deshalb haben und brauchen auch die amerikanischen Städte kein Zentrum im europäischen Sinne. Die Menschen tragen es in sich.

E.Hopper, "Gas"

"Gas" 1940
 Öl auf Leinwand, The Museum of Modern Art, New York

Eine scheinbar alltägliche Szene. Der Tankwärter liest am Ende des Tages die Zapfsäulen ab. Auch hier wieder die ungewöhnliche Lichtführung. Derjenige Bildbereich, der eine gewisse Sicherheit und Ordnung signalisiert , ist der Bereich des künstlichen Lichtes und des sauberen Häuschens mit seiner klaren Struktur. Es ist der Bereich der Hüllen, die sich der Mensch selbst geschaffen hat. Auch dort, wo in etwa die untergehende Sonne zu sehen sein könnte, befindet sich eine künstliche Lichtquelle in Form des großen Reklameschildes. (Dass die Sonne genau hinter dem Schild untergehen soll, ist in einer Vorzeichnung Hoppers deutlicher zu sehen.) 

Der Mann ist ganz seinem Tagesgeschäft hingegeben. Anders, als in "Pennsylvania Coal Town" beschränkt sich seine Erkenntnis auf die Zahlen der Zapfuhren, bzw das Zählen der Öldosen. Er kehrt der umgebenden Natur den Rücken zu. Diese erscheint im Bild mit einer gewissen Bedrohlichkeit dargestellt. Während die Straße weiter hinten von düsterem Dunkel verschlungen wird, wirkt das Gras wie einen Art Feuerwalze, welche bereits die Straße überwunden hat und auch schon die sicher scheinende Zone der Tankstelle hart bedrängt. Ein Ast verdeckt  teilweise den Pfahl des Reklameschildes, ein Detail, das ein Jahr vorher in "Cape Cod Evening",1939 bereits auftaucht.

Im übrigen kann man sogar die Frage haben, ob denn überhaupt Autos zum tanken hier vorbeikommen, da auf dem Weg keine diesbezüglichen Fahrspuhren zu erkennen sind.

Ein ganz anderer Gedanke knüpft sich an den Pegasos, der auf dem großen Reklameschild auffallend deutlicher herausgearbeitet ist, als auf den runden Zapfsäulenlampen und der dort oben auch an recht prominenter Stelle, am Horizont, zum Himmel stürmt. Nach der Sage wurde der Held Bellerophon zur Erde zurückgeworfen, als er versucht hatte, auf Pegasos zum Himmel zu stürmen.

Die Weiterentwicklung oder Erhöhung (Himmelfahrt-Erlösung?) des Menschen geschieht demnach im Kampf mit den naturhaften Feuer- und Dunkelzonen der Seele hier auf der Erde, nicht im wahnhaften Rausch eines Himmelsrittes. Der Kampf zwischen Licht und Finsternis klingt hier mit an, als überindividuelles, menschheitliches Thema. Hier jedoch, ist das einzelne Individuum, der Bellerophon - Tankwärter diesem Thema ausgesetzt. Er, alleine, muss diesen Kampf um seine Mitte bestehen.

Die besondere Lichtführung in vielen Bildern Hoppers scheint zu zeigen, wie eine Seele des 20 Jahrhunderts sich selbst immer wieder als Schauplatz dieses Kampfes empfindet. Das ganze Werk Hoppers kann von diesem Gesichtpunkt aus wie eine Suche erscheinen, eine Suche in Variationen. Vielleicht kann so noch einmal verständlicher werden, was er selbst über seine Arbeit sagt:

"I don't think I ever tried to paint the American scene; I'm trying to paint myself."

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