Dieser Text entstand anläßlich eines Castor-Transportes. Hubschrauber kreisten über dem Zug. Die Luft war erfüllt vom Donner ihrer Motoren und einige 12 jährige Kinder sahen mich an in der Erwartung, daß ich ihnen diese Art von Welt erklären könne. Ich konnte es nicht.

 Das Märchen von der Sonne und ihrem Schatten

Wie die Menschen das Licht wieder fanden

   Am Anfang, als Gott die Menschen erschaffen hatte, da schuf er auch die Welt und er setzte die Menschen in die Welt und machte sie ihnen zum Geschenk und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch und macht euch die Erde untertan, denn ich habe sie gemacht euch zum Geschenk. Und so lebten die Menschen fortan auf der Erde  und waren zufrieden, denn sie erfüllten die Gebote Gottes.

   Nun geschah es aber, es ist noch nicht lange her, da erwachten die Menschen eines morgens und als sie die Augen aufschlugen, da ward ihnen die Welt fremd geworden und sie sprachen:

   Seht nur, die Welt ist uns fremd und zum Rätsel geworden und wir verstehen sie nicht mehr. Oh, was sollen wir tun?

   Und große Ratlosigkeit herrschte unter den Menschen.

   Da sprachen einige:

   Laßt uns den Priester fragen, er wird uns sagen, was wir tun sollen. Und sie gingen zu ihrem Priester und sprachen:

   Priester, die Welt ist uns fremd geworden und wir wissen nicht mehr, wie wir die Fruchtbarkeit unserer Äcker erhalten sollen, was sollen wir tun?

   Da antwortete der Priester und sprach:

   Ihr habt die Gebote Gottes vergessen. Darum ist euch die Welt fremd geworden und die Fruchtbarkeit eurer Felder nimmt ab und euer Vieh ist mit Krankheit geschlagen.  Gehet hin in eure Häuser und betet und tut eure Herzen auf und fragt Gott nach seinen Gesetzen.

   So gingen sie in ihre Häuser und wollten Gott nach seinen Gesetzen fragen. Aber, so sehr sie sich auch mühten und ihre Gebete aufsagten, ihre Herzen taten sich nicht auf und sie bekamen keine Antwort, denn sie hatten vergessen, wie man Gott fragt.

   Nun gingen sie wieder zum Priester und sprachen:

   Priester, wir waren in unseren Häusern und haben unsere Gebete gesprochen, aber unsere Herzen taten sich nicht auf und wir haben keine Antwort erhalten, denn wir haben vergessen wie man Gott fragt, und wir sind sehr traurig. Was sollen wir tun?

   Da antwortete der Priester und sprach:

   Wißt ihr nicht, daß Gott alle seine Gesetze in die Welt eingeschrieben hat von Anfang an? Gehet also hinaus in die Welt und tut eure Augen auf, auf daß euch die Gesetze Gottes draußen in der Welt offenbar werden.

   Da gingen sie in die Welt und taten ihre Augen auf, so gut sie es vermochten. Aber so sehr sie sich auch mühten, von allen Dingen, die sie antrafen, konnten sie immer nur den Schatten der Dinge erblicken. Da wurden sie von einer großen Sehnsucht ergriffen, wenigstens ein Stückchen von der Wahrheit der Welt erkennen zu können. Aber jedesmal, wenn sie dachten: Jetzt hab ich es, da war es doch wieder nur ein Schatten.

   Da ängstigten sich die Menschen sehr, denn sie wurden gewahr, daß eine Finsternis sich über sie gesenkt hatte.

   So berieten sie sich untereinander und sprachen:

   Nun, da uns der Himmel verschlossen ist, wollen wir unser eigenes Licht anzünden. Laßt uns in der Erde suchen, daß wir unser Licht vielleicht dort finden und wir fortan nicht mehr in der Finsternis leben müssen. Da gruben sie tief in die Erde hinein und als sie am tiefsten gegraben hatten, da fanden sie Steine, die waren so schwarz, wie die Finsternis eines Grabes.

  Da machten sie von diesen Steinen ein Feuer und das Feuer leuchtete ihnen eine Zeit lang auf der Erde. Der Rauch dieses Feuers aber war ebenso schwarz, wie die Steine selbst und er breitete sich über die ganze Erde aus und sie konnten die Finsternis nicht vertreiben.

   Nun berieten sie sich abermals untereinander und sprachen:

   Wohl vermag unser Feuer ein wenig Wärme zu spenden, aber sein Rauch ist schwarz und er beißt in den Augen und die Finsternis ist nicht von uns gewichen. So wollen wir nun die Sonne selbst einfangen und sie soll uns zu Diensten sein.

   Und so erhoben sie sich und sie zogen aus, um die Sonne selbst einzufangen. Da sie aber von allen Dingen immer nur den Schatten sehen konnten, so fingen sie nur den Schatten der Sonne ein.

   Nun sprach der Schatten zu den Menschen:

   Höret ihr Menschen der Erde! Jetzt, da ihr mich eingefangen habt, muß ich euch zu Diensten sein. Aber wisset! Meine Kraft ist so fürchterlich, daß nicht einmal ich selbst sie zu bändigen vermag. Denn gleich wie das Licht der Sonne, dringt die Kraft meines Schattens in alle Länder der Erde. Und wen die Macht meines Schattens trifft, der ist des Todes!

   Noch niemals hatten die Menschen von einer solch schrecklichen Kraft gehört und sie fürchteten sich sehr.

   Da bauten sie einen großen Tempel, größer als alle Tempel vorher und seine Mauern waren wie die eines Kerkers, damit sie die Schattenkraft darinnen gefangen halten konnten. Vor den Toren stellten sie Wächter auf und Priester gingen in dem Tempel ein und aus: das waren die Schattenpriester.

   Nicht lange danach traten die Schattenpriester vor die Menschen und sprachen:

   Wenn der Schatten euch zu Diensten sein soll, so müßt ihr ihm zu essen geben, denn der Schatten hat großen Hunger. Geht hin und bereitet sein Essen zu nach dem Willen des Schattens. Aber seht euch vor, daß ja niemand sein Essen berühre, denn was dem Schatten zum Leben dient, das ist dem Menschen zum Tode.

   Und als der Schatten gegessen hatte, da sprachen seine Priester: Nun räumt den Tisch ab, aber seht euch ja vor, daß niemand etwas berühre von dem, was der Schatten übrig gelassen hat, denn worauf sein Schatten gefallen ist, das ist dem Menschen zum Tode.

   Da begannen die Menschen nachzudenken und sie sprachen untereinander:

   Wir sind dem Schatten wohl mehr zu Diensten, als er uns. Nie hat jemand gehört, daß die Sonne einen gedeckten Tisch verlangt. Sie schenkt den Menschen ihr Licht aus freien Stücken, denn das Licht der Sonne ist ihr zur Freude und den Menschen zum Leben und nicht zum Tode.

   Kaum, daß sie so gesprochen hatten, da begann die Finsternis von den Menschen zu weichen, denn sie hatten das erste Gebot Gottes wieder erkannt.

                                           Olaf Andersen  1997

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