echn-aton.de
Beiträge zur Bewußtseinsgeschichte der ägyptischen Kultur

Hat sich der Mensch im Laufe der Zeiten verändert?

Ein notwendiges Vorwort

Eines der häufigsten Argumente, die zu hören sind, ist:

„Schau dir doch nur mal dieses Schloß, diese Waffen, diesen Goldschmuck ... an, oder lies mal diese oder jene alte Schrift! Die Menschheit hat sich nicht verändert. Sie ist heute noch genauso geldgierig, egoistisch, prunksüchtig, machthungrig, wie damals!“

Genauso häufig kann man allerdings einen anderen Satz hören:

„Das sind ja Zustände, wie im Mittelalter!"

Oder auch:
„Wir leben ja schließlich im 21. Jahrhundert!“

Es ist keineswegs Befriedigung, die im ersten Satz mitschwingt, sondern eher Resignation, enttäuschte Hoffnung. Im zweiten und dritten Satz ist es mehr Entrüstung darüber, daß hier in einem bestimmten Bereich die Entwicklung anscheinend stehen geblieben ist.

Wir erwarten also in Wirklichkeit und fordern sogar, daß in irgendeiner Weise Entwicklung stattfinde.

Dennoch leisten wir uns (im 21. Jhdt.!) oft eine gehörige Portion an Schizophrenie, oder zumindest Nachlässigkeit im Denken:

Einerseits, angekurbelt durch den technischen Fortschritt, sind wir zu der Überzeugung gekommen, daß erst wir, in der heutigen Zeit, den richtigen Durchblick haben und die Menschheit früher ja noch gar nicht so richtig Bescheid wußte.

Andererseits geht die ganz überwiegende Mehrzahl der heutigen Autoren wie selbstverständlich davon aus, daß das Denken, Fühlen und Wollen der Menschen früherer Kulturen genauso gewesen sei und in den gleichen Bahnen verlief, wie unser heutiges Denken, Fühlen und Wollen. Daß sich die Handlungen früherer Menschen genauso begründen ließen, wie diejenigen heute lebender Menschen.

   Apropos Durchblick: Das stimmt vielleicht sogar, wenn man in etwa den Sinn der Worte nimmt: Durchblick habe ich da, wo nichts ist, wo nichts den Blick versperrt. Ich blicke hindurch, nicht hinein, wie beim Einblick. Vielleicht leiden wir heute unter zuviel Durchblick und zuwenig Einblick bzw. Einsicht ;-)

  Dies scheint überhaupt ein Merkmal der neueren Zeit zu sein: 

Wir dürsten nach Einsicht und ertrinken in Informationen.

Viele der Rätsel, die wir an den alten Kulturen empfinden, entstehen genau durch diesen Denkfehler.

Denkfehler deshalb, weil erstaunlich viele Autoren zwar gerne von Evolution reden, tatsächlich diesen Gedanken aber nicht real in die eigene Forschungshaltung einfließen lassen. So entsteht gerade dort, wo das eigene moderne Empfindungsleben als Maßstab genommen wird für die Interpretation alter Kulturen, die Vorstellung einer gewissen Primitivität dieser Kulturen. „Sie wußten es halt nicht besser.“ Ein Gegensatz, der gelegentlich auf der gleichen Buchseite zu finden ist. Denn wenn wir unsere gegenwärtigen Empfindungs- und Erkenntnisgewohnheiten als Maßstab anlegen, entgeht uns notwendig das, was außerhalb dieser Gewohnheiten liegt, das, was anders war in den alten Kulturen, eben genau das, was es eigentlich zu erforschen gilt. Die widersprüchliche Koexistenz solcher Gedanken"vielfalt" kommt vermutlich von dem vielen „Durchblick“, den wir heute haben ;-)

Diese gedanklichen Unschärfen sind jedoch leicht erklärlich.

Unsere Kultur der Neuzeit hat ein Menschenbild hervorgebracht, welches im praktischen Forschungsalltag (und das gilt nicht nur für die Archäologie) versagt. Es versagt unter anderem deshalb, weil es nicht befriedigend verbindet die beiden Bereiche, in denen sich alles menschliche Leben abspielt: Natur und Kultur, Gesetzmäßigkeit und Freiheit. So haben sich heute die Naturwissenschaften auf die Seite der Gesetzmäßigkeit geschlagen und über die Freiheit streiten sich die Philosophen und Theologen (siehe Fußnote unten). Und wir akzeptieren heute problemlos, daß beide Seiten in verschiedenen Welten leben!

Im Menschen sind aber beide Bereiche zugleich wirksam.

Ein befriedigendes Menschenbild hätte die Aufgabe, die „Orte“ im Menschen anzugeben, wo er zum einen der Gesetzmäßigkeit unterliegt und wo er zum anderen in Freiheit handeln kann. D.h. handeln, nicht aus einer Ursache heraus, die in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft liegt. Ein Menschenbild, welches dies leistet, muß als Mindestvoraussetzung vorliegen, um sinnvoll und möglichst widerspruchsfrei über Kulturen forschen zu können.

Fußnote
Eine Reihe von Naturwissenschaftlern versucht nun natürlich alle Handlungen des Menschen als gesetzmäßig darzustellen, d.h. sie versuchen zu beweisen, daß der Mensch keinen freien Willen habe, da alle seine Handlungen zwangsläufige Wirkung materieller Substanzen, wie Hormone, Enzyme, Hirnströme, Gene usw. seien und dagegen könne man nicht viel tun.
 
Die Praxis der Vergabe von Nobelpreisen zeigt, daß überwiegend diejenigen einen solchen Preis bekommen, denen es in spektakulärer Weise gelingt, pauschal gesprochen, den Geist aus der Materie heraus zu erklären.

Das Problem dabei sind gar nicht so sehr die Hirnströme und Hormone an sich. Damit hat es sicherlich eine Zeit lang seine Richtigkeit (bis zum nächsten Nobelpreis). Das Problem ist das verkürzte Menschenbild eines solchen Naturforschers, sowie leider auch ein gewisser Mangel an Logik.
Denn wenn er in einem Bereich forscht, in dem nur die Strenge der Gesetzmäßigkeit gültig ist, also im Bereich der Naturwissenschaft, sollte er eigentlich erkennen können, daß er keine wissenschaftlichen Aussagen machen darf über Bereiche, wie z.B. die Freiheit, die aus diesem Grund gar nicht zu seinem Forschungsgegenstand gehören können.

Es ist in der Tat rätselhaft, wie ein intelligenter Forscher auf solche Aussagen kommen kann. Denn wenn ich ihm während seiner Preisverleihung in Stockholm eine Torte ins Gesicht werfe, wird er vermutlich der erste sein, der seine eigenen Forschungsergebnisse verleugnet und mir erklärt, daß ich für meine Handlung sehr wohl verantwortlich sei und daß ich sie sehr wohl auch hätte unterlassen können. Hirnströme hin, Hormone her.
Auf der nächsten Seite soll ein solches Menschenbild kurz skizziert werden. Dieses Menschenbild wird dann den ganzen folgenden Untersuchungen und Darstellungen zu Grunde liegen.