Der geschichtliche Anfang: Die Reichseinigung

Vorbemerkung:

Der Name Menes wird in den Königslisten des Priesters Manetho erwähnt, als derjenige, der die Vereinigung von Ober- und Unterägypten herbeiführte. Die neuere Forschung sieht auch die Möglichkeit, daß die Reichseinigung von mehreren Führergestalten ins Werk gesetzt wurde ("Skorpion", "Narmer", von dem die berühmte Schminkpalette stammt und "Aha". Die Quellenlage reicht jedoch für gesicherte Ergebnissenicht aus. Einige Autoren nehmen an, daß diese drei Namen unterschiedlich benannte Aspekte ein und derselben Gestalt sind.) Immerhin sind auf besagter Schminkpalette zum Teil kriegerische Szenen dargestell, zusammen mit einer Darstellung, die als Vereinigung von Ober- und Unterägypten gelesen verden kann. Jedenfalls zeigt diese Palette die erste uns bekannte Darstellung eines Königs, der die Krone von Ober- und Unterägypten trägt. 

Im Folgenden wird jedoch der Name Menes, notfalls als Sammelbegriff, beibehalten.

Die sog. Reichseinigung durch die sagenumwobene Gestalt des Menes ist ein zutiefst bewegender Vorgang, der einen sehr langen vorgeschichtlichen Kulturabschnitt zu Ende bringt und nicht nur eine neue Stufe der ägyptischen Geschichte, sondern sogar der Menschheitsentwicklung einleitet.

Vor dieser Einigung durch Menes bestanden im Niltal zwei verschiedene Strömungen. 

In Unterägypten, welches hauptsächlich aus dem sumpf- und wasserreichen Nildelta bestand, hatte sich eine Pflanzergesellschaft auf der Basis des Mutterrechtes gebildet. In Oberägypten siedelten mehr vaterrechtlich organisierte Jäger- und Hirtenstämme.

Mit dieser Kenntnis über die „beiden Länder“ bezüglich Ackerbau und Viehzucht, erschöpft sich fast schon unser Wissen über diese vordynastischen Zeiten, denn die archäologischen Funde sind vergleichsweise mager. (Es ist allerdings bekannt, daß es auch zu jener Zeit hohe Führergestalten gab, deren Aufgaben kultischer, überpersönlicher Natur waren, so daß kaum ein gesicherter Individualname überliefert ist. Der gleichbleibende Funktionsname lautete meist "Diener des Horus.")

Immerhin kann nun eine sehr wesentliche Aussage, über diese vorgeschichtliche Kulturstufe gemacht werden:

Es war dies die Zeit, in der in unterägyptischen Nildelta aus Wildpflanzen Kulturpflanzen gewonnen wurden und in der in Oberägypten aus Wildtieren Haustiere gezüchtet wurden - Ackerbau und Viehzucht waren entstanden. (Dieser Schritt ist auch für andere Kulturräume nachgewiesen.)

Der Übergang vom Jäger und Sammler zur Sesshaftigkeit wurde vollzogen. Der Weg vom passiven (paradiesischen) entgegen nehmen dessen, was die Natur darbietet, zur eigenaktiven Um- und Neugestaltung der irdischen Verhältnisse wurde begangen („macht euch die Erde untertan“).

Die Vereinigung dieser beiden Strömungen innerhalb des ägyptischen Raumes (Unter- und Oberägypten, Ackerbau und Viehzucht) zu einer neuen Stufe der Zivilisation, das war die Aufgabe des Menes gewesen.

Zum Mutterrecht siehe den gesonderten Kurzbeitrag: "Grundlagen ägyptischer Kultur 5 - Formen des Mutterrechtes"
Das Mutterrecht Unterägyptens hat sich in einer Reihe wichtiger Bereiche bis in die Spätzeit, ja sogar, bei den Tuareg, bis heute erhalten. So ging die Erbfolge zwingend über die weibliche Linie. In vielen, wenn auch nicht allen, Eheverträgen überschreibt der Mann schon vor der Heirat seinen gesamten Besitz der Frau. Die Frau ist dann als "Herrin des Hauses" immer auch seine Eigentümerin und sie verwaltet auch das Vermögen, welches in der Regel ebenfalls ihr gehört. Auch die Thronfolge ging, wie bereits schon Breasted in seinem Standardwerk erwähnt, ausschließlich über die weibliche Linie. Die Legitimation des Pharao konnte immer nur durch ein weibliches Mitglied des Herrscherhauses übertragen werden. Die Geschwisterehe vieler Pharaonen dürfte hier zumindest teiweise eine Erklärung finden.

Die Tradition "Der Beiden Länder" 

Man könnte aus heutiger Sicht leicht Verständnis dafür haben, wenn die Erinnerung an diesen Einschnitt der Reichseinigung, an diesen Neuanfang im Laufe der Jahrtausende etwas verblasst wäre. Aber bis in die Spätzeit hinein behält der Pharao den Titel „Herr der beiden Länder“. Bis in die Spätzeit bleiben die Symbole der beiden Länder, der Krummstab der Hirten und der Wedel der Pflanzerinnen als Throninsignien erhalten. Diese uralten Zeichen sind es, die der Pharao nach seinem Tode in Händen hält.

Wenn nun eine solche Tradition über 3000 Jahre ungebrochen ist und immer wieder neu gepflegt wird, dann muß dafür auch eine Notwendigkeit bestanden haben. Es stellt sich die Frage, ob hier nach tausenden von Jahren immer noch die historische Reichseinigung gemeint sein konnte.
Der Titel "Herr der beiden Länder" beinhaltet eine integrative Kraft, ein vereinigendes Moment.
Die Vermutung liegt nahe, daß es sich hier um die Symbole eines Kulturzieles entweder auf seelischem oder auf geistigem Gebiet gehandelt haben muß, welches offenbar über den größten Teil der Kulturepoche hinweg nocht nicht erreicht worden war. 
(Um welches konkrete Kulturziel es sich dabei gehandelt haben könnte, muß hier vorläufig offen bleiben und ist einer späteren Untersuchung vorbehalten.)
Ein bekanntes Beispiel dafür, daß der Pharao durchaus die Aufgabe hatte, solche Kuturziele zeichenhaft zu setzten und sogar zu formulieren, ist der "Große Sonnengesang" Echnatons. In diesem Gesang wird eine zukünftige Bewußtseinsstufe  beschrieben, die damals im allgemeinen Volk noch nicht einmal ansatzweise vorhanden war.
(Siehe dazu im Anhang: "Der große Sonnengesang" mit Erläuterungen. - Startseite Ägypten)
Ackerbau und Viehzucht

Wie es den damaligen, vorgeschichtlichen Weisen und Kulturführern gelungen ist, auf derartig konstruktive Weise die Naturgesetze zu verändern, ist ein Mysterium. Die Entwicklung des Rindes z.B., war dem natürlichen Lauf entzogen worden und lag von da an in den Händen des Menschen, der nun seinerseits durch Zucht und Pflege von nun an dauerhaft mit dem Wesen dieser Tierart verbunden war.
Es war dies ein Eingriff, der eigentlich nur als kultisch – geistiger Vorgang denkbar ist. Gewissermaßen unter Einbeziehung der Götter, oder, modern ausgedrückt, ein Eingriff, der eine wesenhafte und konkrete Erkenntnis der Schöpfungs- und Lebensprinzipien voraussetzte. Hält man sich dies vor Augen, so könnte manches unserer etwas schemenhaften Bilder von der primitiven Horde der Vorzeit durchaus noch eine Korrektur vertragen. 
In moderner Zeit ist in Mittelamerika der Versuch gemacht worden, aus Wildgräsern durch gärtnerische Methoden der Zuchtauswahl Getreide zu züchten. Es ist nicht gelungen.
In diesem Zusammenhang mag die Frage anklingen, ob die Ergebnisse heutiger Gentechnik von „wesenhafter und konkreter Einsicht in die Schöpfungs- und Lebensprinzipien“ geprägt sind, oder ob es, wie der Name schon andeutet, eher eine Art chemotechnischer Mechanik ist. Die bekannte, gentechnisch hervorgebrachte phosphoreszierende Maus scheint eher auf einen etwas kindlichen Spieltrieb innerhalb einer Atmosphäre akademischer Lebensferne hinzudeuten.

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